Mittwoch, 7. Oktober 2009

Mein Leben bei und mit einer jüdischen Familie...


Wie sicherlich die aufmerksamen Leser von euch wissen, bin ich hier in London das Aupair einer Familie, die dem Judentum angehört. Es ist eine sehr interessante Erfahrung, dass Leben einer anderen Religion kennenzulernen.
Eigentlich weiß man über diese Religion nicht viel, auch wenn man es in der Schule kurz behandelt hat. Meiner Meinung nach verbindet man diese Religion auch immer schnell mit dem Holocaust und der Begriff "Juden" klingt irgendwie so abwertend. In Deutschland habe ich jüdische Familien noch nie gesehen bzw. nicht weiter wahrgenommen und hier in meinem Viertel ist das so normal, dass es hier so gut wie nur koshere Läden, jüdische Schulen und Synagogen gibt.
Kosher heißt, sie trennen milchiges und fleischiges Essen. Das ist wohl der Hauptgedanke im Judentum. Es gibt also für jedes extra Geschirr, extra Besteck, extra Geschirrtücher, extra Töpfe und sogar extra Geschirrspüler bzw. Spülbecken. Man muss sich quasi vor jedem Essen entscheiden, ob es fleischig oder milchig sein soll, d.h. Spaghetti Bolognese mit viel Käse drüber geht leider nicht.
Anfangs dachte ich, dass das koshere Essen eine starke Umgewöhnung für mich sein wird, dabei ist es gar kein Problem und man gewöhnt sich schnell an die ganzen Trennungen, auch wenn man immer ziemlich aufpassen muss, welches Geschirr man jetzt benutzen kann.
Pavere Nahrung, die also weder fleischig noch milchig ist, wie z.B. Pasta, Reis, Obst, Gemüse und Fisch, kann dann eben mit Fleisch ODER milchigem Essen gegessen werden.
Außerdem ist es nicht möglich, einfach in den Supermarkt zu gehen und beliebigen Käse oder Cornflakes zu kaufen... jedes Essen muss kosher sein. Dazu gibt es ein extra Buch, wo alle kosheren Marken verzeichnet sind. Das hängt wohl von der Herstellungsweise der verschieden Nahrungsmittel ab.
Es wird hier viel frisch gekocht und es gibt immer sehr viel Obst, sodass es an sich eine ziemlich gesunde Ernährungsweise ist.

Jeden Freitagabend ab Sonnenuntergang beginnt Sabbat, der Ruhetag der Juden. Angefangen wird... wie sollte es auch anders sein... mit einem reichlichen Abendbrot, wozu ein traditionelles Brot, das Challah, gereicht wird.
Dieser Tag gehört ganz allein der Familie, was ich neben dem leckeren Challahbrot besonders mag. Das heißt aber auch, dass sie an diesem Tag keine Elektrizität an- und ausschalten dürfen. Sie fahren also kein Auto, benutzen den Herd, das Telefon, den Computer und den Fernseher nicht und die Belichtung im Haus wird über eine Zeitschaltuhr geregelt. Das Essen wird auf einer Wärmeplatte warm gehalten und es gibt einen Riesenwasserkocher, der automatisch alle 2 Minuten das Wasser neu aufkocht.
Sabbat besteht eigentlich hauptsächlich aus Essen, Familie, Essen, Synagoge und nochmal Essen, bis er am Samstagabend nach Sonnenuntergang endet.

Zur Zeit finden sehr viele wichtige jüdische Feste und Feiertage statt.
Das erste Fest, was ich miterleben konnte, war das "Jewish New Year" (Rosh Hashanah), was aber an sich keine große Bedeutung hat und es wird auch nicht mit lautem Feuerwerk gefeiert, sondern es dreht sich einfach wieder alles um Essen, Synagoge und Familie. Es gibt eben besondere Mahlzeiten und zum Einläuten des neuen Jahres wird die "Shova" geblasen, eine Art Horn.
Eine Woche darauf ist der wichtigste Feiertag der Juden, Yom Kippur, ein strenger Fastentag, an dem die Erwachsenen 25 Stunden lang weder essen noch trinken, sondern die meiste Zeit des Tages in der Synagoge verbringen. Nichts desto trotz ist dieser Tag ein fröhlicher Tag im Judentum, denn es gibt noch einen zweiten Fastentag, der aber eher ein Tag der Trauer ist.
In dieser Woche findet das Laubhüttenfest statt, oder auch Sukkot genannt. Vor Beginn dieser Woche wird im Garten eine kleine Laubhütte, die Sukka, aufgebaut, in der während der Woche einige Mahlzeiten abgehalten werden.
Weihnachten wird im Judentum nicht gefeiert, sondern Chanukka, welches aber ebenfalls nicht so eine große Bedeutung hat. Darüber kann ich euch nur leider noch nicht so viel berichten...

Männliche Juden tragen alle eine Kippa auf dem Kopf und die Zizit unter dem Tshirt, eine Art weiße Bluse mit 4 langen weißen Fäden dran. Da Männer als vergesslich gelten, müssen sie also ständig mit ihrer Religion konfrontiert werden, deswegen tragen sie diese Sachen.
Die Jungs werden spätestens am 8. Tag nach ihrer Geburt beschnitten und tragen ab dem 3. Lebensjahr ebenfalls die Zizit und eine Kippa. Manche Jungen haben auch an den Seiten zwei lange Haarsträhnen, was nicht besonders hübsch aussieht, wie ich finde, aber daran erkennt man wohl nochmal die "orthodoxeren" Juden.
Bei Frauen sieht es da nicht so streng aus, aber man erkennt die jüdischen Frauen daran, dass sie so gut wie nur Röcke tragen und manche bedecken auch ihre Haare mit einer Mütze oder einem Tuch.
Juden sind, vor allem an Sabbat und den restlichen Feiertagen, immer sehr schick angezogen, die Männer also im Anzug und dem bekannten großen schwarzen Hut und die Frauen ebenfalls mit einem hübschen Hut und Rock bzw. Kleid.
An jedem Türrahmen, auch an der Haustür, hängt wie eine kleine Thorarolle, die einen kurzen Segensspruch enthält. So weiß man auch schon von außen, ob dort eine jüdische Familie wohnt.
Die Juden glauben daran, dass ihr Messias noch kommen wird und irgendwann wieder alle in Israel leben können.

Vielleicht war das jetzt alles ein wenig zu viel, dabei gibt es eigentlich noch so viel zu erzählen. Wer noch Fragen hat, kann sich gerne an mich wenden...

Im Allgemeinen muss ich sagen, dass man es sich bestimmt nur schwer vorstellen kann, was alles für ein Aufwand betrieben wird und vieles klingt auch recht ulkig, trotzdem ist es für mich eine Erfahrung, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Man denkt toleranter und bekommt somit eine ganz andere Sicht über die älteste Religion, die quasi der Grundstein für das Christentum und den Islam ist.
Meiner Meinung nach finde ich es gut, wenn Religion eine bestimmte Rolle im Leben spielt, aber ich könnte mir nicht vorstellen, mein Leben komplett danach auszurichten. Allein der Gedanke, niemals wissen zu können, wie manche Schokolade schmeckt, schreckt mich schon ab ;-)

Was denkt ihr darüber?

Eine gute Zeit für euch und bis bald!

Eure Caroline Dampfmaschine

7 Kommentare:

  1. Huhu Carooo,
    das ist wirlich sehr interessant und in der Schule hatten wir zwar auch das Judentum aber man hat sich nie weiter informiert.
    Ich grüße dich ganzzz lieb, die Claudiii :o)

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  2. Ein wirklich schöner Artikel. hmmm... und ich glaube dir/uns erscheint es nur streng, wie deine Gasteltern ausüben. Als Protestant hast du nicht viel zu beachten. Wenn du dich an die Bibel halten würdest aber schon. Und ich glaube nicht, dass deine Gasteltern auch wirklich jede Kleine Regel der Bibel ausüben. Dazu kann ja mal Björn was schreiben. Hab ihm ein gutes Buch zu dem Thema geschenkt

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  3. hey Caro,
    toll dein Artikel, ich als überhaupt nicht kirchlich erzogen finde es gerade mal interessant zu hören wie genau es im Allltag in einer jüdischen Familie so zugeht. Obwohl es mir jetzt alles sehr streng gläubig erscheint? Ich finde es gut wenn man einen Glauben hat und dann ist sicherlich auch die Essenstrennung unwichtig.... für mich wäre das jedoch ein groooooßes Problem....Denken und Essen zusammen -das passt doch nicht;)(Dein Schoki-kommentar triffts auch gut!)
    Na dann witer ganz viel Spaß
    lutzi:)

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  4. Es freut mich, dass euch mein Artikel gefällt, denn mir ist es wirklich nicht leicht gefallen, darüber zu schreiben und habe es lange vor mir hergeschoben...

    @ Willi: Thora bitte, nicht Bibel!!!

    @ Anne: Schokolade ist unsere Religion ;-)

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  5. Aber die Thora hat doch den gleichen Inhalt wie das alte Testament, oder? aber naja hast ja recht. Sorry

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  6. also ich find es wirklich auch sehr interessant. aber die vorstellung, danach so streng zu leben fällt uns einfach schwer, weil wir damit nich aufgewachsen sind. Menschen, die schon von der geburt mit diesem glauben aufwachsen, sehen das ja demnach auch ganz anders.
    aber insgesamt schon wirklich toll, diese erfahrung. Ich finds aber auch gut, dass sie dir gegenüber tolerant sind, dich zwar einbinden, dir die religion jedoch nicht "aifzwingen". und nur so kanns doch wirklich funktionieren, das zusammenleben der Religionen.
    wir haben letztens in englisch einen film über jüdische immigranten in GB gesehen. Der film war wirklich sehr krass dargestellt, sodass die Kinder sich eher dem christlichen glauben annehmen, in katholischen Umzügen mitmachten und auch nicht kosher aßen.. die jüdische religion also nicht ernst nahmen, was unter andrem an dem starken britischen einfluss lag. also find ichs gut zu sehen, dass dieser film (wie auch sonst) übverspitzt ist und dass die Juden trotzdem sie in england leben, ihren glauben ausleben können und akzeptiert werden.

    also berichte bitte weiter ganz viel :)

    ganz liebe grüße nach england!!
    drück dich fest

    Jule

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  7. danke! super zusammenfassung, nun sehe ich klarer, was jüdische gäste so brauchen. :-)

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